Was haben Großkonzerne und die Bundesrepublik Deutschland gemeinsam? Beide kommen an der Digitalisierung ihrer Prozesse und Dienstleistungen nicht vorbei. In einer digital vernetzen Welt ist für Unternehmen die Digitalisierung ihrer analogen Prozessen, Produkte und Dienstleistungen eine Pflichtaufgabe, um auf dem Markt mitspielen zu dürfen.
Die Redewendung „Wer nicht mit der Zeit geht, wird mit der Zeit gehen“ trifft wohl bei diesem Thema den Nagel auf den Kopf, wie auch die Pleiten von Nokia, Kodak und Co eindrucksvoll gezeigt haben.
Wenn sich also Unternehmen der Digitalisierung unterordnen müssen, dann muss die Frage erlaubt sein, ob sich ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland diesem wirtschaftlichen und gesellschaftlichem Wandel widersetzen kann? Die Antwort ist ganz klar: Nein. Denn warum sollte ein Bürger seine Versicherungen online abschließen können aber nicht in der Lage sein, seinen Wohnort online umzumelden? Warum sollte ein Unternehmer ein Bankkonto online eröffnen können aber für eine Gewerbeanmeldung persönlich in der Stadtverwaltung vorstellig werden müssen?
Je weiter wir in der digitalen Welt voranschreiten, desto offensichtlicher wird es, dass Agilität eine Schlüsselkomponente für Großkonzerne darstellt. Denn während StartUps den etablierten Konzernen durch innovativere, schlankere und bessere Produkte Marktanteile abnehmen, müssen die Unternehmen erst einmal eine digitale Transformation ihrer analogen Prozesse durchlaufen. Je agiler ein Konzern auf diese neuen Herausforderungen reagieren kann, desto größer sind dessen Erfolgsaussichten.
Während aber Unternehmen noch den Vorteil haben, dass sie diese Entscheidungen im Top Management treffen und die notwendigen Aufgaben aufgrund ihrer zentralen Machtverhältnisse nach unten zu delegieren können, ist das in der öffentlichen Verwaltung ein etwas komplizierteres Vorhaben.
1949 wurde im Grundgesetz der Föderalismus als Staatsstrukturprinzip für die Bundesrepublik Deutschland festgeschrieben. Das bedeutet, dass die staatlichen Aufgaben zwischen Bund und den Bundesländern so aufgeteilt wurden, dass beide politischen Ebenen für bestimmte verfassungsmäßige Aufgaben selbst zuständig sind. So soll, geprägt durch 1945, ein Missbrauch der Macht durch Machtkonzentration verhindert werden.
Aufgrund eben dieser Konstellation sind in der öffentlichen Verwaltung auf Bundesebene, Länderebene und kommunaler Ebene keine homogenen Verwaltungsprozesse, IT-Infrastrukturen und Softwarelösungen entstanden, sondern eher ein Wildwuchs. Jede Verwaltung nutzt andere Systeme. Die Zuständigkeiten unterscheiden sich zudem in jeder Verwaltung und niemand kann zentral anordnen, dass nun jede Stadt eine bestimmte neue Software übernehmen muss.
Um die Bundesrepublik trotzdem digital an die Bürgerinnen und Bürger sowie die Unternehmen anbinden zu können, wurde 2017 das Onlinezugangsgesetz erlassen.
Das Gesetz zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsleistungen verpflichtet Bund und Länder, ihre Verwaltungsleistungen bis Ende 2022 auch elektronisch über Verwaltungsportale anzubieten. Das bedeutet, dass bis Ende 2022 über 575 Verwaltungsdienstleistungen zentral für die Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen online über ein Portal angeboten werden müssen, damit Behördengänge, so wie wir sie bisher kennen, nicht mehr notwendig sind.
Um dieses Vorhaben im föderal geprägten Deutschland möglichst standardisiert und erfolgreich umsetzen zu können, wurde dazu das OZG - Programm in Themenfelder (TF) und Lebenslagen strukturiert. Dabei setzt sich ein Themenfeld aus mehreren inhaltlich verwandten Lebens- und/oder Unternehmenslagen zusammen. Die 35 Lebens- und 17 Unternehmenslagen sind 14 Themenfelder (bspw. TF Bildung, TF Familie & Kind oder bspw. auch TF Unternehmensführung und -entwicklung) zugeordnet.
Diese 14 Themenfelder bilden die Grundlage für eine bundesübergreifende, arbeitsteilige Umsetzung. Somit übernimmt pro Themenfeld ein Bundesland die Federführung zur Umsetzung und wird somit als Themenfeldführer (TFF) bezeichnet. Gemeinsam mit einem ebenfalls zugeteilten Bundesressort sowie kommunalen Partnern sind sie für die Digitalisierung der Verwaltungsdienstleistungen in diesem Themenfelde zuständig.
Durch dieses Vorgehen setzt der Bund auf das „Einer für Alle“ (EfA) - Prinzip, was bedeutet, dass ein Land oder eine Allianz aus mehreren Ländern eine Leistung zentral entwickelt und betreibt – und diese anschließend anderen Ländern und Kommunen zur Verfügung stellt, die diesen Online-Dienst dann mitnutzen können. Hierfür müssen sie sich nur mittels standardisierter Schnittstellen anbinden. Die Kosten für Betrieb und Weiterentwicklung des Dienstes teilen sich die angeschlossenen Länder und Kommunen. Das spart Zeit, Ressourcen und Kosten. Der Grundgedanke hinter EfA ist also, dass Länder und Kommunen nicht jedes digitale Verwaltungsangebot eigenständig neu entwickeln, sondern sich abstimmen und die Arbeit aufteilen.
Durch die zentrale Entwicklung der Online-Dienste bedeutet das für die Länder und Kommunen: Statt 16 eigener Projekte auf Landesebene und 400 individueller Lösungen auf kommunaler Ebene, kommt ein einzelner Dienst zum Einsatz, dessen Betriebskosten sich die Partner teilen.
Durch den Föderalismus als Staatsstrukturprinzip ist eine Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung eine sehr große Herausforderung für den Bund. Obwohl die „Einer für Alle“ - Variante die präferierte Lösung des Bundes ist, ist es für die Länder und Kommunen nicht verpflichtend, sich dieser anzuschließen. Alternativ gibt es ebenfalls auch die Möglichkeit, selbst die Onlinedienste zu entwickeln, diesen zu betreiben und den Bürgern und Unternehmen anzubieten.
Deshalb hat der Bund durch das Corona-Konjunkturprogramm für die OZG - Umsetzung zusätzlich drei Milliarden Euro zur Verfügung gestellt hat, um die flächendeckende Digitalisierung der Verwaltung möglichst nach dem „Einer für Alle“ - Prinzip voranzutreiben. Allerdings gibt es weiterhin Unstimmigkeiten in den Fachbereichen der Ministerien auf Länderebene. Denn es herrschen noch vielerorts Unklarheiten bzgl. der auf sie zukommenden Betriebskosten oder der fehlenden IT Infrastruktur und Schnittstellen, um EfA - Online - Dienste sinnvoll in die Strukturen der Länder und Kommunen integrieren zu können. Gerade Letzteres befindet sich gerade erst im Aufbau und sorgt für Unsicherheit in den Ministerien und Kommunen in Hinblick auf die Frist, bis Ende 2022 die Verwaltungsdienstleistungen online anbieten zu müssen.